Bericht über die Großgruppenkonferenz zum Kulturförderplan 2016–2018

 

Recklinghausen, 30.¬31. Oktober 2015

Das Kulturfördergesetz für Nordrhein-Westfalen sieht die Aufstellung eines Kulturför­derplans (§§ 22, 23 KFG) vor. Das zuständige Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW organisiert diese Aufstellung mit partizipativen Elementen. Mit freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern führten Fachleute Interviews, das Ministe­rium veranstaltete mit ihnen zwei Dialogveranstaltung, es lud Kulturverbände zur schriftlichen Stellungnahme (bis 19.11.) ein und es führte am 30. und 31. Oktober mit Vertretern von Vereinigungen und von Kultureinrichtungen eine sogenannte Großgrup­penkonferenz im „Cultur und Congresszentrum Recklinghausen“ durch. Den Beteiligten lag dabei ein Entwurf des ersten Kulturförderplanentwurfs (Laufzeit 2016 – 2018) vor, den die Kulturabteilung des Ministeriums erarbeitet hatte.

Ministerin Christina Kampmann eröffnete die Großgruppenkonferenz und gab ihr den Grundsatz vor, dass Kultur nicht ein wichtiger Teil der Gesellschaft sei, sondern viel­mehr das, was die Gesellschaft im Kern zusammenhalte. Kulturabteilungsleiterin Hilde­gard Kaluza erläuterte den Entwurf des Kulturförderplans und stellte die Maßnahmen für die elf Handlungsfelder vor, die das Kulturfördergesetz vorgibt, und dazu die drei neuen Planschwerpunkte, die dem Förderplan zugrunde liegen sollen: Individuelle Künstlerförderung, Kulturelle Bildung und Digitalisierung. Kaluza stellte dabei voran, dass dieser Kulturförderplan die Bedingungen für freie Künstlerinnen und Künstler in NRW substanziell verbessern wolle.

Der Kulturhaushalt 2016 geht von einem Ansatz 185 Millionen Euro aus, in dem eine Verstärkung in Höhe von 2,7 Mill. für die Planschwerpunkte und für Tariferhöhungen bei den landesgeförderten Kultureinrichtungen enthalten ist. Dazu sollen zusätzlich 400.000 Euro für Integrationsprojekte kommen. Für 2017 beabsichtigt die Abteilung zwei Millionen für Kulturbauten mehr und 585.000 mehr für Tariferhöhungen anzuset­zen. Dazu gibt es aber noch keine entsprechenden Signale des Finanzministers.

Im weiteren Verfahren werden nach dem 19.11. Impulse aus der Konferenz und aus den Dialogveranstaltungen sowie Anregungen aus den Stellungnahmen der Verbände in den Kulturförderplan eingebracht. Danach geht er zur Diskussion in den Landtag.

Ein Team der Firma Kokonsult moderierte die Großgruppenkonferenz und gestaltete den Meinungsbildungsprozess der ca. 120 Teilnehmer, indem es Kleingruppen zu bestimmten Fragestellungen und Themenbereichen des Kulturförderplans bildete. Zudem hielten Fachreferenten Impulsvorträge zu Fragen der drei Planschwerpunkte.
Planschwerpunkt Individuelle Künstlerinnen- und Künstlerforderung

Olaf Arndt, Prognos, trug Ergebnisse einer Befragung von Künstlerinnen und Künstlern zur ihren Arbeitsbedingungen vor. Die Online-Befragung hatte zu 1.245 Antworten geführt, dazu führte Prognos 32 Tiefeninterviews und wählte dabei einen morphologi­schen Ansatz. 59 % der Befragten waren Freiberufler, 45 % kamen aus der Bildenden Kunst. Die Kritik fokussierte auf eine zu geringe Zahl bezahlbarer Ateliers in NRW und auf eine Diskrepanz zwischen der Förderung von festen Institutionen und der freien Szene. Bemängelt wurden auch die zu geringen Ausstellungsmöglichkeiten in NRW so­wie die Möglichkeit einer Vernetzung zu Wirtschaftszweigen. Im Negativ-Ranking gleich danach folgten die Finanzierungsmöglichkeiten für Projekte und die Kommunikation mit der Politik mehr. In Bezug auf Infrastruktur standen die Verdienstmöglichkeiten am Schluss des Rankings, dann die Arbeitsplatzsicherheit und die Mietpreise für Arbeits­räume.

Positiv in NRW wurden die Verkehrsanbindung, die digitale Infrastruktur und die Mög­lichkeit zur Selbstverwirklichung beurteilt. Immerhin 75% der Befragten gaben als Wunscharbeitsort Städte und Regionen in NRW an. Auch 73 % der Studierenden wollen im Bundesland bleiben. Hauptwünsche an das Land sind eine Erhöhung der öffentlichen Förderung, das Schaffen von Kreativ­räumen, die Förderung von Vernetzung, der Abbau von Bürokratie und eine zielgenau­ere Förderpraxis. Zudem sollte mehr Raum für die Präsentation von Kunst geschaffen werden, kreative Bildung gefördert und für eine leistungsgerechte Bezahlung auch im Zuge von Förderung eingetreten werden. Prognos schlägt das Aufsetzen einer NRW-wei­ten digitalen Plattform vor, die einen sparten­übergreifenden Künstlerpool offeriert.

Konkrete Erwartungen an den Kulturförderplan zielen in Richtung des Förderns von Rahmenbedingungen, von Ankaufsetats und Konzerte. Dabei soll die Förderung inhalts­unabhängig erfolgen. Das Programm „Kunst und Bau“ sollte gestärkt, Stipendien ohne Altersbegrenzung eingeführt und auch Residenzstipendien als Kurzzeitstipendien vor Ort in den Kanon aufgenommen werden. Die Transparenz von Juryentscheidungen und das Einbeziehen von Künstlerinnen und Künstlern in die Jurys wurden gefordert. In Bezug auf die Bildung war zuvorderst der Wunsch zu vernehmen, dass an Schulen das Bewusstsein für den Wert von Kultur in der Gesellschaft ausgebildet werden müsse. Auch fehlten Angebote im Bereich des Übergangs von der Ausbildung zur Professionali­tät.

Handlungsfeld Erhalt des kulturellen Erbes

Drei Impulsvorträge widmeten sich dem Thema kulturelles Erbe aus archivischer, bib­liothekarischer und aus Ausstellungssicht. Frank Bischoff, Präsident des Landesarchivs NRW, referierte zum Erhalt des kulturellen Erbes aus archivischer Sicht. Man könne nicht davon ausgehen, dass künftig ein digitales Familienalbum vom Großvater dem Enkel übergeben werde, weil in aller Regel das Speichermedium nicht mehr lesbar sein wird. Die Erhaltung digitaler Artefakte ist aufwändig, doch in NRW bietet das sechsjäh­rige Projekt “Digitales Archiv NRW” den Archiven technische Lösungen an.

Auch die Bibliotheken ringen mit unterschiedlichen Datenformaten, Schnittstellen und Lizenzfragen. Die Lese- und Medienkompetenzförderung braucht neue Konzepte. Für die Bibliothek der Zukunft müssen insbesondere Urheberrechtsfragen bei digitalen Medien geklärt werden. Peter Bell beleuchtete die Nutzung digitaler Möglichkeiten in der Kunst(ausstellung): Wir sollten die mediale Kraft des Landes nutzen, die Ressourcen vernetzen und digitale Kunst zeigen. Der „Hartware MedienKunstVerein“ (HMKV), eine Plattform für die Produktion, Präsen­tation und Vermittlung von zeitgenössischer und experimenteller Medienkunst, zeigt digitale Ausstellungen im Dortmunder U. Doch die Medienkunst läuft dann Gefahr, nach der Ausstrahlung ephemer zu verpuffen. Ihre Erschließung ist eine besondere Heraus­forderung. Der Kulturförderplan schafft deshalb Laborbedingungen für das Experimen­telle. Die Chance muss genutzt werden, ortsübergreifend Inhalte zu visualisieren, eine neue Ausstellungsfläche zu schaffen. Auch das Vermitteln von Kunst und die Kommuni­kation können neu gedacht werden.

Planschwerpunkt Kulturelle Bildung

Die Großgruppenkonferenz behandelte den Planschwerpunkt Kulturelle Bildung vor allem in Bezug auf die kulturelle Vielfalt in NRW. So beschäftigte sich seitens des Minis­teriums für Arbeit, Integration und Soziales NRW Integrations-Abteilungsleiter Anton Rütten mit der Kulturellen Bildung. Er wies darauf hin, dass es für die jetzt einwandern­den Religionsformen kaum Organisationsformen gebe, auch nicht bei den bestehenden islamischen Einrichtungen. Der Bundesrepublik stellte er zunächst einmal ein gutes Zeugnis aus, denn die Migration Policy Group in Brüssel habe festgestellt, dass Deutsch­land innerhalb der EU als Einwanderungsland weit vorn liege. Doch nach Rütten habe sich die Bundesrepublik in die Tasche gelogen, als sie vor einigen Jahren sagte, wir schaffen eine Willkommenskultur. Sachsen habe ursprünglich Willkommensbehörden eingerichtet, die Fachkräfte warben und willkommen hießen. Das Land brauche aber mehr als eine Teilhabestruktur. Der Begriff Kultur werde instrumentalisiert.

Das Integrationsgesetz von 2012 verpflichte das Land zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung. Deshalb werden Beschäftigte zur interkulturellen Kompetenz fortgebildet. Doch Unsinn bleibe der Einbürgerungstest von 2008 mit seinen 330 Fragen. Dieser Test sei aber das, was die Einwanderer empfange. Er müsse geändert werden. Auch gehe man in Deutschland nicht angemessen mit dem Thema Rassismus um. Dieser komme aus der Mitte der Gesellschaft heraus und man müsse ihm mit Mitteln der Kultur entgegentre­ten. Als Beispiel nannte Rütten die Kölner Initiative „Arsch Huh“.

Ergebnisse der Arbeitsgruppen zu Handlungsfeldern des Kulturförderplans:

Die elf Handlungsfelder des Kulturförderplans wurden im Laufe der Konferenz von Arbeitsgruppen diskutiert, die ihre Ergebnisse in Stichworten an Tafeln festhielten. Die Kulturabteilung möchte die Kritiken in dokumentierter Form vorlegen. Viele einzelne Kritikpunkte mahnten ein Beachten subsidiärer Prinzipien in der Kulturförderung an und schlugen vor, Maßnahmen zu Kulturverbänden, -einrichtungen oder –akteuren zu verlagern statt sie bei Landeshäusern anzusiedeln. So kritisierten Teilnehmer, dass Künstlerberatung und -betreuung nicht bei einem Verband, sondern als Aufgabe eines Landesinstituts vorgesehen ist.

Eine Ausweitung finanzieller Mittel wurde besonders für das Experimentelle im Kulturleben gefordert, auch für Maßnahmen im Bereich Kultureller Bildung und Migration. An einigen Stellen des Kulturförderplans forderten Konferenzteilnehmer differenzierte Darstellungen der geplanten Mittel, zumal bei der Zusammenführung von “Kunst und Bau” und “Bauunterhaltungskosten”. Teilnehmer mahnten zudem, dass die selbst gestellten Aufgaben der Vernetzung und der Bildung von Plattformen vor allem auf diejenigen setzen sollten, die bereits Netzwerke darstellen. In Bezug auf die Grundsätze der Kulturförderung wurde als Ziel die Einhaltung des Mindestlohns vorgeschlagen.

Hildegard Kaluza resümierte, dass eine angedachte Landes-Plattform zur Vernetzung überwiegend kritisch gesehen wurde und dies reflektiert werde. Die Einrichtung eines digitalen Kompetenznetzwerks hingegen sei positiv aufgenommen worden, es werde nun breiter konzi­piert werden. Zu den Maßnahmen der Kulturellen Bildung werde viel an Anregungen umgesetzt werden. Bei den Handlungsfeldern wird dies noch geprüft werden. Der Prozess der Entstehung des Kulturförderplans solle dokumentiert werden. Der Kampf ums Geld werde bleiben, doch das Verfahren soll transparent geführt werden. Auch das Format der Großgruppenkonferenz soll fortgesetzt werden. Sie habe die Gespräche in der Konferenz als sehr engagiert, leidenschaftlich, konstruktiv und kurzweilig empfunden.

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